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- ZUM HISTORISCHEN BILDTEILMein Vater gehörte noch zu jenen jungen Männern, die 1914 bei Kriegsausbruch von ihrer Mutter mit den Worten verabschiedet wurden: »Ich bin stolz auf Dich, wenn Du auf dem Schlachtfeld liegen bleibst.« Wir hatten Pferde, damals im Meraner Reitclub, und mein Vater rückte selbstverständlich als Freiwilliger zur Kavallerie ein. Nach der Ausbildung an der Offiziersschule in Holic erfolgte die Stationierung der Zweier-Dragoner in Czernowitz, einer bezaubernden Stadt zwischen den Welten, die nur in der Monarchie zur jähen Blüte gefunden hatte. Neben den Abenteuern an der Front in den Karpaten und am Dnjester erwähnte mein Vater gerne das buntgemischte Treiben in diesem großen »Stedtl«, das bezeichnend war für die Monarchie: »So viele Nationalitäten, wie in einem Fische Gräten.« Doch die Ruhe der Völker war dahin, die Fronten begannen zu fließen und die Monarchie zu wanken.
Leutnant Haller muß zunächst ein stürmischer Offizier gewesen sein; zweimal wurde er an der Ostfront mit der »Großen Silbernen« ausgezeichnet. Doch beide Seiten verband in diesem Konflikt trotz aller Anonymität noch ein Hauch von Schicksalsgemeinschaft, von Ethos. Zwar kämpfte man bis zum letzten, aber am Weihnachtsabend brannten am Grabenrand hüben und drüben Kerzen. Dann krochen die zerschlissenen Männer aus ihren klammen Unterständen, der Stacheldrahtverhau wurde beiseite gerollt, und sie umarmten sich und sie tanzten und sie spielte~ Mundharmonika. Friede, der einzige Wunsch! Das stand nicht im Frontbericht.
Italien tritt 1915 an der Seite der Entente in den Krieg ein. Als Fronturlauber in Meran beschließt mein Vater, um seine Versetzung zur Bergführertruppe an der Südfront einzukommen und mit ihm sein böhmischer »PfeifendeckeI« – so hieß damals der Offiziersdiener. Nach der Alpinschule in Gröden, gemeinsam mit Luis Trenker, wurde Leutnant Haller an die Ortlerfront abkommandiert. Schon bei der ersten Frontbesichtigung stürzte sein Pfeifendeckel ab und durfte forthin in der Offiziersmesse in Sulden Dienst tun, was ihm wohl das Leben rettete. Denn auch im Hochgebirge, in dieser absolut menschenfeindlichen Umgebung, flogen einem die Kugeln um die Ohren. Sehen und nicht gesehen werden war die Parole; der Tod durch Kopfschuß lauerte überall. Und so vergrub man sich ins Eis, in kilometerlange Stollengänge, pickelte Tag um Tag weiter, um neue Posten und Maschinengewehrstände einzurichten, auch um dem Erwarten zu entfliehen. Beide Seiten kannten in diesem aberwitzigen Krieg aber vor allem einen Feind – die unerbittliche Kälte.
Franz Haller war ein passionierter Fotograf. Wie an der Ostfront entwickelte er seine Bilder im Unterstand. Das Eis gab kürzlich Dosen mit Fixiersalz frei; es könnten seine sein. Die Dokumente, die er uns hinterlassen hat, weisen weg vom spektakulär Militärischen. Sie sind beeindruckend zeitlos. Viele Stunden verbrachte er dort droben, in Gedanken versunken; ihn bewegte das heraufziehende Ende einer Ära zutiefst. Am Ortler, so erzählte er, hörte man den rollenden Kanonendonner der Isonzoschlachten. Und hier hatte die Natur fast schon Frieden gestiftet.
Achtzig Jahre später: Mit Kopien der Bilder meines Vaters in der Hand ist Sebastian Marseiler die damalige Front wieder und wieder abgegangen, und Udo Bernhart hielt fest, was uns das Eis nun freigibt. Möge dieses Buch all jenen gerecht werden, die dort oben erleben mußten, was sie eigentlich nie erleben wollten.
Franz Haller jr.